7.1
Die richtige Belichtung

- ohne Belichtungsmesser

 Belichtung schätzen 
Als ich bei einem Ausflug einen Kollegen mit einer alten Voigtländer hantieren sah, von der ich wusste, dass sie keinen eingebauten  Belichtungsmesser hat, wunderte ich mich, dass er keinen Handbelichtungsmesser verwendete. Ich wollte ihm die Werte durchgeben, die meine Kamera anzeigte, doch er winkte selbstbewusst mit der Bemerkung ab: „Das weiß man doch so!“
Ich war gespannt auf die Ergebnisse. Ein paar Tage später brachte er Farbbilder mit, die belichtungstechnisch einen ganz passablen Eindruck machten.
Klar, dass er nur die gelungenen Bilder vorzeigte, doch in der Tat kann man mit etwas Übung recht treffend die richtigen Belichtungswerte schätzen. Die heutigen Farbfilme, die anders als Diafilme eine gewisse Toleranz gegenüber einer mäßigen Fehlbelichtung aufweisen, „schlucken“ auch einiges. Dazu kommt die Fähigkeit eines modernen Printers, der dazu beiträgt, dass die Bilder zum großen Teil etwas werden.

Erfahrungswerte
"Sonne lacht - Blende 8!" 
Diese alte Fotografenweisheit stammt aus einer Zeit, in der vornehmlich mit dem noch geduldigeren Schwarzweißfilm fotografiert wurde. Der vertrug zwar keine krasse Unterbelichtung, aber 3 Stufen Überbelichtung konnte er schon verkraften.
Die Belichtung mit Blende 8 bei einer 1/125 Sekunde war für einen Film mit der damals üblichen Empfindlichkeit von ca.17 DIN der Standardwert für Aufnahmen bei Sonnenlicht!

Oder lässt es sich vielleicht doch besser mit der “Sonne-16-Regel” arbeiten?

Bei letzterer geht man davon aus, dass bei schönem Sonnenschein und Blende 16 die richtige Verschlusszeit jene ist, die dem Kehrwert der Filmempfindlichkeit entspricht. Bei einem 400-ISO-Film wäre dann bei Blende 16 eine Belichtungszeit von 1/400s richtig. Da man aber bei einer manuellen Kameras keine 1/400 einstellen kann, wird gerundet: man nimmt den nächst kürzeren Wert also 1/500 usw.
Das kann man dann herunterrechnen: bei Blende 8 wäre dann eine Verschlusszeit  von 1/1000s relevant usw.

Welche der beiden Regeln ist denn nun die „bessere“, die praktikablere?
Im Grunde sind beide "Belichtungsweisheiten" in einem ähnlichen Grade 'brauchbar', nur hat die “Sonne-16-Regel” die Nase einen Tick voraus, weil hier neben Sonne und Blende auch die Parameter ISO (ASA) und die Belichtungszeit ausdrücklich genannt werden!

Belichtungstipps der Filmhersteller
Die Filmhersteller geben Belichtungsempfehlungen für die Verwendung ihres Films. Sie sind entweder als Zettel beigepackt oder im Inneren der Packung aufgedruckt


Schachtelaufdruck beim Farbfilm Konica Centuria Super 200

Während Bildchen 1 Belichtungshinweise für die klare Luft an Gebirge und See gibt, erkennt man bei genauerem Hinschauen beim 2. Bildchen die beiden obigen Regeln wieder:

    „Sonne lacht, Blende 8“        => für ISO 200/24°: f:8, 1/1000 = f:11, 1/500.
    „Blende-16-Regel“               => für ISO 200/24°: f:16, 1/200“ ~ f:11, 1/500.

Fazit:
Da ihm die Erfahrungen der „alten Hasen“ zugrunde liegen, kann man die Belichtungstipps des Herstellers als eine gut geeignete „Schätzhilfe“ bezeichnen!

Belichtungstabellen
Vorläufer der "Herstellerempfehlungen" waren umfangreiche Belichtungstabellen für die unterschiedlichsten Aufnahmesituationen. Sie existierten schon in der Frühzeit der Fotografie. Man musste sie entweder auswendig beherrschen oder doch zumindest dabeihaben, um sich von Zeit zu Zeit damit schlau machen zu können.

In den 1950er Jahren, zu einer Zeit also, wo so gut wie keine Kamera einen eingebauten Belichtungsmesser aufwies und nur ein kleiner Teil der ambitioniertesten Fotofreunde einen Handbelichtungsmesser ihr Eigen nennen konnte, waren solche Tabellen in Magazinen und Spezialbüchern zu bestimmten Kameras, beispielsweise dem Rolleiflexbuch von Dr. Walter Heering oder auch in allgemeinen Foto-Lehrbüchern abgedruckt.

Da sich ja bekanntlich der Sonnenstand im Laufe des Jahres, ja sogar während des Tages stetig ändert, hatte das Photo-Magazin 1949 für jeden Monat eine andere, jeweils an die "aktuelle Sonne" angepasste Belichtungstabelle beiliegen.

So ist auch vernünftiger Weise in Lindner, Wir fotografieren, Bertelsmann 1957, auf der S. 86 zur Belichtungstabelle noch eine „Zusatztabelle“ abgedruckt, die die Korrekturen für die sich verändernden Sonnenstände angibt, sogenannte „Blenden-Zeit-Sprünge“, um die die Tabellenwerte zu korrigieren sind.


Deutlich praxisgerechter als die Verwendung einer Tabelle ist die KOLUMBUS-Belichtungs-Rechenscheibe aus Aluminium. Berücksichtigt werden hier DIN-Zahl, Monat, Tageszeit, Wetter, Gegenstand. Auf der Rückseite befindet sich außerdem noch ein Tiefenschärferechner.
Sie ist also so zu sagen das „Ei des Kolumbus“!

Kolumbus-Belichtungsrechenscheibe  (d=87 mm, ca. 1950)
aus: Dr. Walter Heering, Das Rolleiflex-Buch, 1952, S. 68

Vorderseite: Belichtungsrechenscheibe  Rückseite: Tiefenschärferechner


Die Handhabung des Kolumbus-Belichtungsrechners


1. DIN-Zahl im Startfenster einstellen:
24/10° DIN (= ISO 200)

2. Zwischen die Zahnradlücken auf gleicher Höhe bzw. entsprechend der Benennung greifen und nacheinander bis zum Anschlag nach unten drehen:

Monat-Tageszeit
5. April, Uhrzeit 9.25 (Sommerzeit, 10.25)

Wetter
Sonne

Gegenstand
Landschaft mit hellem Vordergrund

Im Kolumbus kann man jetzt die Belichtungswerte für ISO 200 (24/10° DIN) ablesen:  f5,6 1/500s.

Die nachfolgende Aufnahme wurde entsprechend fotografiert (siehe auch die Exif-Angaben unter dem Foto!):



Die Handhabung des Kolumbus-Tiefenschärfenrechners

Mit dem Kolumbus lässt sich auch die Schärfentiefe (Syn. Tiefenschärfe) für unterschiedliche Objektiv-Brennweiten in Abhängigkeit von der gewählten Entfernungseinstellung und den Blendenwerten ermitteln. Zugrunde gelegt ist eine Unschärfe von u = 1/1500 der Bilddiagonalen.


Am Beispiel für ein 50er Objektiv (f = 5cm), möchte ich das mal skizzieren:

Am Pfeil erkennt man, dass das Bild auf eine Entfernung von knapp 5 m eingestellt ist,
Schaut man jetzt in der Tabelle bei dem 5cm-Objektiv nach, so sind dort die Buchstaben B, C, D, F, G aufgeführt, 
denen die Blendenwerte f2,8 bis f16 zugeordnet sind.

Der Buchstabe D entspricht einer Blende 5,6.

Die Tiefenschärfe liegt dann zwischen den beiden D, also bei ca. 3,6 m und 7,6 m Entfernung. Der Vergleich mit einem DOF Calculator (gibt es als Smartphone-App) ergibt bei den eingestellten Werten eine Schärfentiefe zwischen 3,74 m und 7,53 m!

Viel Spaß beim Einstellen!

Anmerkung: Natürlich wird man in der fotografischen Praxis, wenn vorhanden, den Belichtungsmesser bzw. die Schärfentiefen-Skala des Objektivs zu Rate ziehen.
Aber Spaß macht der Kolumbus doch (und das ist bei einem Hobby ja ausschlaggebend, wie ich meine)!